31. März 2005
Veröffentlichung zur Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße im FORUM Ausgabe März 2005
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich wende mich mit diesem Brief an Sie als Fachkolleginnen und Fachkollegen der Hamburger Jugendhilfe, um Ihnen eine Rückmeldung zu dem von Herrn Herz verfassten und in Ihrer Publikation FORUM veröffentlichten “offenen Brief zur Geschlossen Unterbringung” zu geben. Dass Sie und Ihre Autoren die Geschlossene Unterbringung kritisch sehen und ablehnen ist dabei nicht der Punkt. In der Vergangenheit haben Sie im FORUM Texte veröffentlicht, die man immer noch als einen Beitrag zur Fachdebatte bezeichnen konnte. Mit den Berichten einzelner Personen von ihren Eindrücken aus kurzen Besuchen in der Geschlossenen Einrichtung haben Sie aus meiner Sicht bereits die Grauzone jenseits einer soliden Fachdebatte betreten. Mit dem Beitrag von Herrn Herz haben Sie meines Erachtens die Grenze des Tolerierbaren überschritten. Für die engagierte Arbeit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für mich ist dieser Text eine Beleidigung. Darüber hinaus bin ich höchst irritiert darüber, dass Sie solche Formen der Darstellung tolerieren und publizieren.
Herr Herz eröffnet den Brief mit der Behauptung, er schreibe weder aus dem Gefühl persönlicher Kränkung, noch der Schadenfreude heraus und auch intellektuelles Besserwissen sei nicht sein Motiv. Dieses erweist sich jedoch als Schutzbehauptung. Er war in der Einrichtung als Honorarkraft für eine Hand voll Termine tätig und kann nur einen sehr oberflächlichen Eindruck gewonnen haben. Aus seinen Eindrücken entwickelt Herr Herz Spekulationen, die im Raum stehen bleiben oder als wahrscheinlich erklärt werden. Sachlagen werden jedoch zum Teil falsch referiert; er stellt auch nachweislich falsche Zusammenhänge her. Viele seiner spekulativen Äußerungen sind darüber hinaus ehrverletzend und destruktiv. So wird beispielsweise dem “Geschäftsführer”, den er diverse Male auftreten lässt und dem er tatsächlich nie begegnet ist, unterstellt, er könne nicht rechnen. Eine meiner Mitarbeiterinnen beschreibt er als “zierliche Person von vielleicht 27, modebewusst gekleidet, bauchfrei mit Brillis’ in Ohr und Nase”. Eine andere kann er auch nur als Frau um die 30 mit “Piercings und Overall im Military-Look” bezeichnen um sie anschließend in eine Schublade zu packen: Typ “Berufsjugendliche”. Herr Herz kommentiert die von ihm als “Handschlagsritual” wahrgenommenen Umgangsformen ebenso abschätzig wie die geleistete Arbeit selbst. Gerne garniert er seine Darstellungen mit Äußerungen und Gedanken aus dem persönlichen Pantheon seiner Künstler und Philosophen, die ihm sein Weltbild liefern, das ihn unhinterfragbar ins moralische Recht zu setzen scheint. Er umgibt er sich mit einer Aura wissenschaftlicher Autorität, die in Wirklichkeit eben doch nur Ausdruck von ihm angeblich nicht beabsichtigten “Besserwisserei” und Überheblichkeit ist. Den in allen Beschreibungen mitschwingenden Zynismus kann ich in diesem Kontext kaum anders als Schadenfreude interpretieren. Dieser Beitrag ist aus diesem Grund und mangels Inhalt kein Fachbeitrag, sondern Stimmungsmache aus fragwürdigen Motiven.
Die geschlossene Einrichtung Feuerbergstraße hat ein kleines Niemandsland in der Jugendhilfelandschaft besetzt und sich den Jugendlichen gewidmet, die die Jugendhilfe bislang nachweislich nicht erreicht hat. Sie ist in Konzeption und Praxis nicht vergleichbar mit der geschlossenen Betreuung der Vergangenheit. Von mehreren tausend Hamburger jungen Menschen, denen eine Hilfe zur Erziehung gewährt wird, haben sich in der geschlossenen Einrichtung in zwei Jahren gerade einmal 25 Jugendliche befunden. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, was die Ursachen für solche Leidenschaften und eine solche Wahl der Mittel sind und wie diese Vehemenz in der Auseinandersetzung entsteht.
Die Einrichtung ist sicherlich ein politischer Symbolpunkt. Eine politische Debatte sollte man dann aber auch politisch führen und nicht mit diesen Mitteln auf dem Rücken engagierter Pädagogen. Für einige rüttelt die Einrichtung an fachlichen und – wie ich meine – ideologischen Grundpositionen. Es hat den Anschein, dass einige Kritiker zu Felde ziehen gegen die Widerlegung ihrer Glaubensfrage durch den Nachweis, dass Pädagogik hinter einer phasenweise verschlossenen Tür für einige Jugendliche in bestimmten Lebenssituationen sinnvoll, möglich und erfolgreich sein kann. Empirische Befunde liegen vor und werden in den anstehenden Beratungen maßgeblicher Gremien dieser Stadt sicherlich erneut öffentlich zur Sprache kommen. An diesem Punkt wünsche ich mir eigentlich nur eine sachbezogene Debatte und in diesem Sinne auch weiterhin konstruktive Kritik.
Was Sie im Hinblick auf den Text von Herrn Herz mindestens nachdenklich stimmen müsste, ist die Tatsache, dass Herr Herz mit seinen Ausführungen zugleich weite Teile der Jugendhilfe diffamiert: “Berufsjugendliche” im Sinne von Herrn Herz gibt es doch in vielen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit, ebenso eine Fülle von in anderen Lebensbereichen ungewöhnlich anmutenden Ritualen und kleinen Schwächen in der Organisation und pädagogischen Arbeit. Mit gleicher Portion destruktiver Motive ließen sich hier im Sinne des Herrn Herz ganz tolle Enthüllungsgeschichten zusammenschreiben und griffige Typen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf allen Ebenen generieren. Dieses zu tun verbietet sich, weil es den Verhältnissen in der Jugendhilfe und ihrem eigenen Stil nicht gerecht werden würde und insofern respektlos ist und im Übrigen die Arbeit an der eigenen Fortentwicklung torpedieren würde. Ich wünsche mir daher für uns alle in der Jugendhilfe, dass sich niemand daran versucht. Akzeptanz und Respekt sind Grundwerte, die Sie sicherlich teilen. In diesem Sinne brauchen wir Offenheit für das jeweilige Profil und Konzept, also auch das Anderssein unter den kollegialen Institutionen in der Jugendhilfe. Das ist der Grundpfeiler für die pädagogische und weltanschauliche Vielfalt in der Jugendhilfe.
So möchte ich schließlich an Ihre Mitverantwortung für das Miteinander in der Jugendhilfe als Hamburger Fachverband appellieren, auch in Zukunft respektvolle Formen des Umgangs zu praktizieren und zu unterstützen. Ich meine, dass Ihnen als öffentlich geförderter und damit privilegierter Verband sogar eine besondere Verantwortung hierfür obliegt.
Ich werde dieses Schreiben auch an Funktionsträger der Jugendhilfe bei Verbänden, der Fachbehörde und den bezirklichen Jugendämtern senden, da mein Anliegen die Kultur der Zusammenarbeit in der Jugendhilfe betrifft und ich der Darstellung der Geschlossenen Einrichtung im FORUM zumindest in diesem Kreis meine Einschätzung entgegenhalten möchte.
Mit kollegialen Grüßen
Klaus-Dieter Müller