In Hamburg wurde die geschlossene Heimunterbringung von Kindern und Jugendlichen 2008 mit der Schließung der GU Feuerbergstraße beendet. In der jüngeren Vergangenheit ist die Diskussion um die Einschließung von Kindern und Jugendlichen jedoch wieder aufgeflammt. Dazu beigetragen hat die Presseberichterstattung über die Zustände in den geschlossenen Heimen der Haasenburg GmbH in Brandenburg und die Praxis der Hamburger Jugendämter, Jugendliche außerhalb der Landesgrenzen in geschlossenen Heimen unterzubringen.[1]
Wir möchten den Fokus der Kritik auf das Konzept des Einschlusses, die GU an sich, richten. Es geht nicht um die Bewertung oder den Vergleich verschiedener Einrichtungen und Konzeptionen, sondern um die prinzipielle Kritik an der Einschließung junger Menschen im Rahmen der Jugendhilfe. Die politischen Entscheidungsträger und die Jugendhilfe haben offenkundig nicht aus der Geschichte der Heimerziehung in den 1950er bis 70er Jahren in der BRD und DDR gelernt, wenn die GU wieder vermehrt angewendet wird.[2]
Rechtliche, pädagogische & strukturelle Kritik an GU
Nach Art. 2(2) sowie Art. 104 des Grundgesetzes und § 1631b BGB sowie § 42 (5) Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) ist es der Jugendhilfe lediglich bei Gefahr für Leib und Leben erlaubt, das Freiheitsrecht der Kinder und Jugendlichen kurzfristig zu beschneiden. Die Freiheitsentziehung ist nur so lange rechtens, wie diese Gefahr besteht und längerfristig nur nach einem Beschluss des Familiengerichts möglich. Im Gegensatz dazu dient die GU ausschließlich dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, dem Wunsch nach Bestrafung und nicht der Hilfe und dem Schutz von Kindern und Jugendlichen. Strafe und die Gewährleistung von öffentlicher Sicherheit sind jedoch nicht Auftrag der Jugendhilfe!
Die pädagogische Kritik ist simpel aber existenziell: Erziehung kann nur in Freiheit stattfinden. Lernprozesse benötigen Freiwilligkeit und Vertrauen, wenn sie auf ein selbstständiges Leben vorbereiten sollen. In der GU wird statt Handlungsfähigkeit und Selbstmächtigkeit bloße Anpassung unter Zwang befördert. Das Argument, dass man die Jugendlichen einsperren müsste, um sie erziehen zu können, wird nicht nur und keineswegs primär aufgrund der hohen Entweichungsraten ad absurdum geführt. Die physische Anwesenheit alleine ermöglicht noch lange keine Annahme der Hilfe. Stattdessen erreicht die GU eine kurzfristige Anpassung, die ausschließlich auf das geschlossene System selbst ausgerichtet ist und bleibt. Sie stellt eine extreme Form der sozialen Ausgrenzung dar und verfestigt die Erfahrungen und Erwartungen der Kinder und Jugendlichen, die meist schon in der Schule und durch die Sozialpolitik mit Ausgrenzung konfrontiert wurden. Auch die Verwendung anderer, „moderner“ und sanfter daherkommender Begrifflichkeiten für den Einschluss, etwa „intensivpädagogische Betreuung“, ändert nichts an der Konzeption und ihren Konsequenzen.
Die strukturelle Argumentation gegen GU lässt sich genauso einfach darstellen: Der Ruf nach Einschließung zeigt Fehler und Probleme des Systems „Hilfe zur Erziehung“, seiner und weiterer Institutionen auf. Geschlossene Einrichtungen zu belegen ist einfacher als eine
Reflexion der Hilfeplanung und der gescheiterten Angebote. Die GU dient darüber hinaus als Drohkulisse für die jungen Menschen und als Entlastung für die Pädagog_innen, sich nicht mit Konflikten und herausfordernden Situationen auseinandersetzen zu müssen.
Das Loblied auf die GU
Die florierende GU fügt sich ein und fußt auf der Entwicklung zum aktivierenden Sozialstaat und dessen ideologischen, rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen sowie auf den öffentlichen, politischen und medialen Diskursen. Der Ruf und die weit verbreitete Akzeptanz von geschlossenen Einrichtungen entstehen aus dem Bedürfnis nach (mehr) sozialer Kontrolle und Disziplinierung bzw. aus dem Gefühl der Unsicherheit. Statt sich mit den Ursachen dieser Unsicherheit zu beschäftigen (ökonomische Krise, sozialpolitischer Wandel, Prekarisierung, Individualisierung) richtet sich der gesellschaftliche und politische Fokus auf die so genannte Innere Sicherheit. Es wird nach einem Sicherheitsgefühl verlangt und erwartet, dieses zu erreichen, wenn all die „abweichenden“ Menschen weggeschlossen sind. Dabei werden tragische Einzelfälle medial ausgebreitet und dazu genutzt, eine Verschärfung bestehender Sanktionen sowie die Einführung disziplinierender Maßnahmen von der Sozialen Arbeit zu fordern. Fachliche Einwände sowie der statistisch belegte Rückgang von z.B. Gewalttaten durch Jugendliche werden negiert. Dabei weisen Aggression und Gewalt deutlich auf Schwachstellen in einem Sozialsystem hin und sollten als Anstoß zur Veränderung genutzt werden. Die Tendenz, fachliche und wissenschaftliche Erkenntnisse zu Gunsten symbolträchtiger repressiver Maßnahmen zu ignorieren, wurde jüngst bei der Einführung des Warnschussarrestes überdeutlich (vgl. Höynk 2012).
Die Neustrukturierung des Sozialstaates, die Sicherheitserwartungen und die entsprechenden öffentlichen Diskussionen wirken sich auch auf die fachliche Debatte in der Sozialen Arbeit aus. Dabei werden zunehmend nicht nur die medial und politisch hegemoniale
ordnungspolitische Ausrichtung übernommen, sondern eigene Argumente für die angebliche Notwendigkeit von Disziplinierungen und Sanktionen entwickelt. Spätestens mit dem 11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung 2002 wurde das Tabu von Zwang und GU
gebrochen. In der Sozialen Arbeit wird offen über die Legitimierung von Strafen, professionellem Zwang und Disziplinierung diskutiert. Insofern beginnt die Kritik nicht bei Geschlossener Unterbringung, sondern bei ähnlichen Logiken von Erziehung als Dressur, wie
sie sich in der Konfrontativen Pädagogik und Verhaltenstrainings sowie Time-Out-Räumen oder dem Hamburger Konzept gegen Jugendgewalt abbilden. In diesem Diskurs zeigt sich deutlich wie eng die GU mit sozialem Ausschluss verbunden ist. Arbeitet jemand nicht genug
mit oder überschreitet Grenzen wird die Unterstützung beendet oder aber zur Strafe.
Es gibt Alternativen…
Es bestehen durchaus Angebote und Konzepte innerhalb der Jugendhilfe, welche die GU obsolet machen. Statt der GU wird eine zur Partizipation anregende, lebensweltlich orientierte und von den Jugendlichen akzeptierte Angebotsvielfalt benötigt. Wir sprechen uns für eine Soziale Arbeit aus, die diese Aspekte mit einer Arbeit gegen soziale Ungleichheit verbindet und sich von den Zumutungen individualisierender und ordnungspolitischer Problembeschreibungen und -lösungen distanziert. Wir sprechen uns aus für eine Soziale Arbeit, die Orte der Selbstbestimmung und Demokratiebildung ausbaut, um Kindern und Jugendlichen reale Teilhabemöglichkeiten zu bieten.
[1] Vgl. z.B. „Hilferufe aus der Haasenburg“, 18.12.2012, www.taz.de/!107698/ und „Erziehung durch Zwang“, 25.03.2013, www.taz.de/!113434/.
[2] Die Platzzahlen für freiheitsentziehende Maßnahmen in der Jugendhilfe sind von 122 Plätzen im Jahr 1996 auf 389 Plätze im Jahr 2012 ausgebaut worden. (Quellen: DJI 2011, 2012, Hoops 2010)