DIE LINKE Hamburg | Cansu Özdemir, Ronald Prieß, 27.08.2013
Vier VertreterInnen der Haasenburg empfingen die Delegation des Familienausschusses und führten diese über das große Gelände, das sehr abgelegen mitten im Spreewald in Brandenburg liegt. Ziel des Besuchs aus Sicht der Fraktion DIE LINKE war eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Haasenburg und dem Umgang der Haasenburg mit der Kritik daran. Außerdem wollten wir vertrauliche Gespräche mit in Hamburger Verantwortung untergebrachten Kindern und Jugendlichen führen und uns mit einer Besichtigung der Räumlichkeiten der Haasenburg ein grobes Bild von der Einrichtung machen.
Empfangen wurden wir von der Standortleitung der Haasenburg GmbH, einer Sporttherapeutin, einem Zuständigen für das Qualitätsmanagement und einer Psychotherapeutin. Die Haasenburg-VertreterInnen waren bemüht, den Eindruck einer ganz normalen Einrichtung zu vermitteln. Ihre zentrale Aussage: “Wer hier fliehen will, der schafft das auch. Wir sind kein Hochsicherheitstrakt.” Auf Nachfragen berichteten sie uns von “freiheitsentziehenden Maßnahmen”. Als solche bezeichneten die VertreterInnen das Abschließen der Außentür der Gebäude, in denen sich die Kinder und Jugendliche befinden oder aber auch das ständige Begleiten in der Einrichtung und auf dem Gelände von neu angekommen Kindern und Jugendlichen. Die Türen der Zimmer der Jugendlichen selbst seien geöffnet. Nur bei Eigen- und Fremdgefährdungen würden Jugendliche “begrenzt”, wie auf Neudeutsch das Zubodenbringen der Jugendlichen genannt wurde. Danach fänden Fallanalysen statt, in den die Fachkräfte ihr Verhalten reflektierten. Die Frage, was passiert, wenn die Kinder und Jugendlichen die geöffnete Tür ohne Erlaubnis passieren, wurde allerdings nicht beantwortet. Genauso wurde ausweichend auf weitere kritische Fragen zu diesem Themenkomplex reagiert.
Die in der Presse berichteten Misshandlungen wurden bestritten oder von den später vorgeführten Jugendlichen für die eigene Person bestätigt, aber von ihnen selbst als notwendig gerechtfertigt. Beklagt wurde die Tatsache, dass viele Jugendämter ihre Kinder und Jugendlichen aus dem Heim abgezogen hätten und jetzt eine Einrichtung vorübergehend geschlossen werden musste. Vor diesem Hintergrund seien viele Beschäftigte entlassen oder in den Urlaub geschickt worden. Unsere Frage, wie viele Plätze in der Geschlossenen Unterbringung der Haasenburg noch belegt seien, konnte nicht beantwortet werden. Die Zahlen lägen nicht vor.
Die Frage, wie sie mit dem Vorwurf der Intransparenz umgehen und warum sie der inhaltlichen Auseinandersetzung mit anderen Geschlossenen Einrichtungen wie zum Beispiel den in der EREV zusammengeschlossenen Einrichtungen aus dem Wege gegangen seien, beantworteten die Haasenbrug-VertreterInnen mit der Aussage, dass die Kritik berechtigt gewesen sei, sei würden das in Zukunft aber ändern wollen. Am bundesweiten Treffen von Einrichtungen der Geschlossenen Unterbringung im nächsten Jahr würde sie sich beteiligen, es werde in ihrer eigenen Einrichtung stattfinden. Das hätten sie vor rund einer Woche vereinbart.
Danach durften wir unter folgenden vorher bekannt gegebenen Auflagen mit vier Jugendlichen sprechen: Die Haasenburg GmbH hatte sich vorher von den Vormundschaften die Erlaubnis für die Gespräche geholt und genehmigen lassen, dass Gespräche mit uns nur im Beisein von Haasenburg-VertreterInnen gestattet seien. Hamburger Jugendliche bekamen keine Aussageerlaubnis und seien auch gar nicht anwesend. Hamburger Jugendliche aus anderen Einrichtungen seien gar nicht erst für Gespräche mit uns in Betracht gezogen worden. Unser Wunsch, ohne Anwesenheit der Haasenburg-VertreterInnen mit Hamburger Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, wurde abgelehnt. Aus unserer Sicht war damit die Befragung der Jugendlichen eine Farce. Wir beteiligten uns auf dieser Grundlage nicht aktiv an diesem Teil des Gesprächs.
Die vier Jugendlichen (drei junge Frauen und ein junger Mann) im Alter von 15 und 16 berichteten in diesem überwachten Gespräch über ihren Alltag und beantworteten Fragen. Sie waren seit sechs bis neun Monaten in der Einrichtung. Niemand von ihnen war mehr in der sogenannten roten Phase. Sie waren zuvor schon in mehreren anderen Einrichtungen untergebracht gewesen. Ihre Leidensgeschichte zog sich über Jahre in der Familie und dann auf der Straße und in verschiedenen Jugendeinrichtungen hin. Sie waren nach eigenen Aussagen Opfer von familiärer und öffentlicher Gewalt. Die Wortwahl und Berichte der Jugendlichen wirkten dabei wie auswendig gelernt. Der junge Mann machte Äußerungen wie: “Ich weiß, was ich zu sagen habe” oder “Ich kenne die Dinge, an denen ich arbeiten muss”. Sie benutzten eine teilweise auffallend fachliche Wortwahl. Die umstrittenen körperlichen “Begrenzungen” wurden von ihnen als existent, aber durch ihr eigenes Verhalten gerechtfertigt beschrieben. Auf die Frage, ob er denn am eigenen Leibe Begrenzungen erlebt habe erzählte einer der Jugendlichen uns, dass Betreuer ihn auf den Boden gedrückt hätten und seine Hand drei Wochen geschwollen war. Alle vier Jugendlichen berichteten, dass die Begrenzungen und der Aufenthalt in der Haasenburg sie zu besseren Menschen gemacht hätten – innerhalb weniger Monate.
Die Jugendlichen nutzen die Fragen der Abgeordneten, um die Presseberichterstattung, den Aufnahmestopp und die Beschäftigungsverbote einzelner ErzieherInnen zu kritisieren. Eine der jungen Frauen brach in Tränen aus. Auf die Frage warum sie denn traurig sei, meinte sie, sie habe Angst, dass ihre BetreuerInnen arbeitslos werden könnten. Beim Beantworten der Fragen der Abgeordneten der anderen Parteien mischten sich die VertreterInnen der Haasenburg GmbH regelmäßig ein und redeten auf die Jugendlichen ein. “Erzähl doch mal wie das war, die Abgeordneten möchten wohl das wissen”, sagte einer öfters zu den Jugendlichen. Über die drei geflüchteten Jugendlichen sprachen die vier Jugendlichen nicht gut. Sie kommentierten, dass die drei einfach keine Lust hatten in der Unterbringung zu bleiben und sich wohl profilieren wollten. Ein Jugendlicher erklärte, dass hier sowieso jeder jeden “verpetze”: “Keiner bekennt sich zu dem, was er gemacht hat”. Soll heißen: Jede/r kämpft für sich, Solidarität gibt es nicht. Auf Nachfragen zu Beschwerden wurde erklärt, dass es einen “Kummerkasten” gebe. Auch hier schalteten sich die Beschäftigten der Haasenburg ein und erklärten, dass dieser so gut wie nicht genutzt werde.
Im Nachhinein hat sich unser Eindruck noch verstärkt. Es handelte sich für uns um eine “Vorführungssituation”, die in jeder Hinsicht unwürdig war. Selbst wenn vieles, was die Jugendlichen berichtet haben, durchaus die Wahrheit und teilweise ihre eigene Meinung widergibt, ist so keine authentische freie Äußerung möglich. In so einer Situation können sich “Schutzbefohlene” nicht frei äußern. Wie würden Abgeordnete reagieren, wenn sie erführen, dass Kinder im Beisein des schlagenden Familienangehörigen in einer Gruppensituation zu Misshandlungen befragt würden?
Die abschließende Besichtigung der Einrichtung war als Führung durch den gepflegten Park vorgesehen. Zimmer der Kinder und Jugendlichen oder andere Räumlichkeiten wie der Anti-Aggression-Raum waren nicht vorgesehen, der Besuchswunsch der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) und Christiane Blömeke (Grüne) zuerst verweigert. Nach Protesten wurde dann doch die Gelegenheit für zwei Abgeordnete gegeben, sich exemplarisch einen Gruppenraum anzuschauen. Dort fielen die schweren Stahltüren der Einzelzimmer auf, die von außen abschließbar sind. Die Einzelzimmer waren kahl und ausgestattet mit einem Bett. Kleidung und Schränke waren im Zimmer nicht erlaubt. Die Besichtigung des Anti-Aggressions-Raum wurde verweigert mit der Begründung: “Es ist nur ein leerer Raum. Da steht nichts drinnen.” Hier stellte sich die Frage, warum ein leerer Raum als Anti-Aggressions-Raum bezeichnet wird.
Insgesamt hat der nicht ganz dreistündige Besuch in der Haasenburg-Einrichtung noch mehr Fragen aufgeworfen, die beantwortet werden müssen.