Auszug aus dem “Bienenkorb” 02/18 der Patriotischen Gesellschaft:
„Wenn Du nicht brav bist, kommst Du ins Heim.“
Fachtag des Aktionsbündnisses gegen geschlossene Unterbringung am 26.02.2018
Wenn Du nicht brav bist, kommst Du ins Heim.“ Das war in den 1950er und 1960er Jahren für viele Jugendliche eine Drohung, die oft die Konsequenz hatte, dass sie wegen „beginnender Verwahrlosung“ in eine Erziehungsanstalt eingewiesen wurden. Am 26. Februar zog sich dieser Ausspruch als roter Faden durch einen Fachtag des Aktionsbündnisses gegen geschlossene Unterbringung. In fünf „Stationen“ wurden die über 180 Besucher im Haus der Patriotischen Gesellschaft auf eine Zeitreise durch die Heimgeschichte von der „Schwarzen Pädagogik“ der 1950er Jahre bis zur heutigen Heimerziehung mitgenommen.
Der Spiegel-Autor Peter Wensierski las aus seinem Buch „Schläge im Namen des Herrn“, das 2004 die Missstände in Heimen der BRD aufdeckte. Die plastische Darstellung der Heimkinderschicksale erzeugte Betroffenheit unter den Zuhörern, die durch die Erzählungen des ehemaligen Heimkindes Wolfgang Rosenkötter, der drei Jahre in Fürsorgeeinrichtungen Entpersönlichung, Schläge und Diskriminierung erlebte, noch verstärkt wurde. Der Schauspieler Klaus Mikoleit las das erste Kapitel aus Siegfried Lenz‘ „Deutschstunde“, das die Thematik ebenfalls aufgreift.
In den anschließenden Diskussionen bestand Einigkeit, dass solche Geschehnisse nie wieder passieren dürfen und verstärkte Kontrollen, z. B. der Heimaufsicht, nötig sind. Eine geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen mache nur die Hilflosigkeit der Fachkräfte deutlich.
Auch in der ehemaligen DDR gab es geschlossene Heime, wo Heimkinder misshandelt und gequält wurden. Das machte ein filmisches Interview mit einer ehemaligen Heimbewohnerin des geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau deutlich.
Dr. Dorothee Bittscheidt und Dr. Charlotte Köttgen berichteten über die Heimreform in den 1980er Jahren in Hamburg und die Konsequenzen für die Hamburger Jugendhilfe. Anschaulich stellten Prof. Michael Lindenberg, Prof. Tilman Lutz und Prof. Timm Kunstreich die „Auswüchse“ der Jugendhilfe in der heutigen Zeit dar. Die „Haasenburg“, der „Friesenhof“ und andere Einrichtungen zeigen, dass es noch nicht vorbei ist. Geschlossene Unterbringung ist nicht nur eine Verletzung von Menschenrechten, sondern auch unsinnig, weil sie das Gegenteil dessen erzeugt, was sie angeblich erreichen will: eigenständiges und verantwortliches Handeln. Erziehung ist nur in Freiheit möglich. Das machten auch die „Stra-
ßenkinder“ von der Organisation MOMO deutlich, die berichteten, dass sie von Behörden und in Einrichtungen oft nicht erst genommen und ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden. Man sollte ihnen besser zuhören.
Die geschlossene Unterbringung wirft nicht nur Fragen der Humanität auf, die sich bekanntlich darin zeigt, wie eine Gesellschaft mit ihren Schwächsten umgeht, sondern auch um Fragen der Effektivität der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt. Es geht um das Recht, nicht nur gewaltfrei, sondern auch in Freiheit erzogen zu werden.
Wolfgang Rosenkötter
Wolfgang Rosenkötter ist Sozialwissenschaftler mit langjährigem Engagement in der Demokratisierung der Heimerziehung und der Aufarbeitung – mit persönlicher Erfahrung – der Heimerziehung in den 1950er und 60er Jahren.