Eine Jugendliche liest am 5. Febr. 2020 den offenen Brief der jungen Menschen vor, der im Rahmen des Projekts des KJRV Dresden entstanden ist:
Ort war die Fachtagung „Erziehung in Würde und Freiheit? Geschlossene Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1631 b BGB in der Jugendhilfe“ am 05.02.2020 in Dresden. Der Offene Brief ist im Rahmen eines von Aktion Mensch geförderten Projektes mit dreizehn jungen Menschen entstanden, die eigene Erfahrungen mit Geschlossenheit und Freiheitsentzug haben. Begleitet wurden sie im Projekt von Sozialpädagog*innen und Jurist*innen des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins (KJRV) Dresden. Infos zum Projekt und eine Broschüre, die die jungen Menschen selbst verfasst haben, findet man hier: https://freiheitsentzug.info/projekt/“
Der Offene Brief: Hallo Fachkräfte…wir müssen reden!
Uns* wurde in der Jugendhilfe und der Psychiatrie die Freiheit genommen. Wir haben das in verschiedenen Arten und Formen erlebt. Manches hat manchen von uns geholfen, aber vieles sehen wir sehr kritisch. Wir haben erlebt, …
- dass wir fixiert wurden über Stunden & Tage,
- dass wir in den „Time- Out Raum“ gesperrt wurden,
- dass uns zwangsweise Medikamente verabreicht wurden z.T. auch durch Spritzen,
- dass wir in unsere Zimmer eingeschlossen wurden,
- dass Gewalt gegen uns ausgeübt wurde,
- dass uns kalt war, dass wir uns unwohl fühlten & entwürdigt wurden,
- dass wir durch Entkleidung öffentlich beschämt wurden,
- dass wir allein von eurer Wahrnehmung und Einschätzung abhängig waren, wann wir uns wieder beruhigt haben & die Maßnahme enden kann.
Wir haben das oft nicht als Hilfe erlebt, es war mehr eine Strafe. Wir glauben, das geht auch anders! Wir erwarten von euch Fachkräften, dass ihr eure Praxis überdenkt. Freiheitsentziehung darf keine Strafe sein, sondern darf nur ausnahmsweise genutzt werden, um uns zu helfen! Deshalb erwarten wir von euch Fachkräften…
- Keine Machtdemonstrationen gegenüber uns!
- Dass ihr für unsere Sicherheit sorgt, statt uns zu überwachen!
- Dass ihr euch dafür einsetzt, dass wir mehr Privatsphäre haben!
- Wir wollen auch, dass ihr unsere Selbsteinschätzung ernst nehmt und versucht, uns wirklich zu verstehen!
- Wir möchten wahrgenommen und nicht ignoriert werden!
- Wir möchten, dass ihr uns gut erklärt was ihr mit uns macht & warum!
- Wenn ihr uns Medikamente gebt, möchten wir wissen, welche Ziele und Wirkungen das haben soll!
- Wenn ihr Zwang anwendet, dann müsst ihr euch an das Recht und die Fachempfehlungen halten, sonst macht ihr euch strafbar!
- Wir möchten, dass wir uns aussuchen dürfen, mit wem wir intime Gespräche führen!
- Wir erwarten, dass auch ihr Kritik aushaltet & Fehler, die passiert sind, einseht!
- Wir erwarten, dass wir Zugang zu externen Personen bekommen, um uns beschweren zu können.
Macht euch Gedanken, ob das, was ihr tut, uns wirklich hilft. Wir erwarten von euch allen, dass ihr menschlich mit uns umgeht. Wir sind bereit, mit euch über unsere Erfahrungen zu sprechen.
Hamburg, April 2019
* 15 Jugendliche aus dem ganzen Bundegebiet haben sich zu 3 Workshops im Frühjahr 2019 in Berlin, Hamburg und Dresden getroffen. – www.jugendhilferechtsverein.de