Michael Lindenberg: Der Versuch der Wiedereinführung geschlossener Unterbringung in Hamburg

September 2002 | SozialExtra – Zeitschrift für Soziale Arbeit und Sozialpolitik, Heft 9/2002

Seit dem Regierungswechsel in Hamburg von einer Rot-Grünen Koalition zu einem konservativen Block ist mir dieser Satz häufig begegnet: “Nun hat es Sie auch erwischt. Nun sind Sie auch dran.” Dran mit was? Unterstellt wird, dass ein derartiger Regierungswechsel nachhaltige Folgen für die Soziale Arbeit hat – auf ihre finanzielle Ausstattung, ihre fachlichen Standards, ihr Ansehen in der Öffentlichkeit. Und wie zu erwarten war, ist es zu materiellen Einschnitten gekommen, und zwar vor allem für die Soziale Arbeit mit dem Klientel, dass unter einem besonders geringem Ansehen leidet (vgl. zu den Kürzungen www.schlechter-streich.de). Diesen Punkt will ich hier jedoch nicht besprechen. Sondern ich will anhand eines Hamburger Fallbeispiels – dem Versuch der Wiedereinführung der geschlossenen Unterbringung für (oder gegen) Kinder und Jugendliche – darstellen, wie die Diskussion in der Sozialen Arbeit unter einem konservativen Block geführt wird. Meine beiden Fragen sind: Wer argumentiert mit welchen Gründen für geschlossene Unterbringung, und wie positioniert sich die Fachwelt dazu?

Ein Kommentator in der “Welt” formulierte: “Sieht man einmal von ein paar populistischen Scharfmachern aus dem rechten und dem linken Spektrum ab, so gibt es unter Fachleuten kaum mehr ernsthaften Streit. Im Grundsatz sind sich alle darüber einig, dass beides notwendig ist. Die Jugendlichen hinter Schloss und Riegel zu bringen und sie intensiv pädagogisch zu betreuen.” (Schirg 2002) Doch offensichtlich gibt es in der Jugendhilfe nicht sehr viele Pädagogen, die sich in ihrem pädagogischen Alltag auf Schloss und Riegel angewiesen sehen. Wenn es unter Fachleuten kaum mehr ernsthaften Streit gibt, dann in der Ablehnung der Wiedereinführung der geschlossenen Unterbringung. Innerhalb eines Monats nach der Veröffentlichung der Pläne zu ihrer Wiedereinführung (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg 2002a) hat die Fachwelt ihre Kritik und nicht ihre Zustimmung in deutlichen Worten formuliert. Es sind so viele ablehnende Stellungnahmen erschienen, dass ich sie in einer Fußnote anführe, um den Textfluss nicht zu unterbrechen. (2) Doch zunächst zu den Hintergründen. Weiterlesen

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SOAL: Michael Lindenberg im Interview

September 2002 | Dr. Michael Lindenberg

1. Wie wird bisher auf kriminelles Verhalten von Minderjährigen in Hamburg reagiert?

Hinter der Frage steht doch wohl: angemessen oder nicht angemessen? Das ist selbstverständlich eine Frage der Perspektive. Fest steht jedoch, dass im gesetzlichen Rahmen des Jugendgerichtsgesetzes in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine unglaubliche Fülle von Möglichkeiten entwickelt wurde, um auf Jugendliche erzieherisch einzuwirken, und dies trifft auch auf die Entwicklung im Rahmen des KJHG im vergangenen Jahrzehnt zu. Manche dieser Möglichkeiten sind vielleicht merkwürdig. Ich muss das nicht alles billigen. Dahinter steckt aber ein zentraler Leitgedanke Sozialer Arbeit. Er lautet: Die Kinder und Jugendlichen sind es uns wert, dass wir so viel wie möglich mit ihnen gemeinsam versuchen. Und das ist nicht nur eine ethische Prämisse, sondern hat auch eine reale Grundlage, weil wir aus langjähriger Erfahrung wissen, dass sofortiges, hartes, strafendes Eingreifen sachlich unangemessen ist. Es nützt weder den Jugendlichen, noch schützt es die Gesellschaft. Kriminologen beißen sich seit Jahrzehnten die Zähne daran aus, general- und spezialpräventive Effekte von Strafe empirisch nachzuweisen.

2. Wie beurteilen Sie die Einrichtung eines “Familien-Interventions-Team” (FIT), das ab Oktober 2002 als Beratungsdienst in Hamburg fungieren soll?

Das FIT soll nach meiner Auffassung vor allem als ein Kontrollorgan fungieren, und nicht als eine pädagogische Einrichtung. Es soll Druck auf den ASD und die beteiligten Träger ausüben. Das Wort “Beratungsdienst” halte ich daher nicht für angemessen. Weiterlesen

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Michael Lindenberg: Nicht, warum ich gegen GU bin, sondern, warum andere dafür sind

September 2002 | Vortrag für die IGFH-Tagung: 200? 90? – 0! Warum Hamburg keine Plätze für geschlossene Unterbringung braucht (03.09.02, Hamburg)

Wo immer ich in der Debatte um die geschlossene Unterbringung hingesehen habe, begegnete mir bereits in den Eingangssätzen stets die Aussage: Die Diskussion ist polarisiert. “Polarisiert” heißt, dass es nur ein Dafür oder Dagegen gibt. Nichts anderes. Zwar wird diese Polarität auch durchbrochen (die Position des 11. Jugendberichts ist ein Beispiel dafür). Ich möchte jedoch feststellen, dass die Vertreter der jeweiligen Pole ihre Position stets sorgfältig argumentativ absichern: warum ich dafür – oder eben: warum ich dagegen bin. So ein Vorgehen kappt die Antennen in die jeweils andere Richtung.

Ich selbst bin gegen geschlossene Unterbringung. Ich will das in diesem Papier aber nicht ausdrücklich begründen. Ich habe ein anderes Verfahren gewählt: Ich will nicht als ein Gegner der geschlossenen Unterbringung herleiten, warum ich dagegen bin. Sondern ich will als dieser Gegner ein analytisches Verständnis dafür gewinnen, warum die Befürworter dafür sind. Ich will nach ihren “guten Gründen” fragen. Ich will meine Antennen in die Richtung der Befürworter ausfahren. Weiterlesen

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ver.di: 21 überzeugende Argumente gegen die Geschlossene Unterbringung

August 2002

Aus berufenem Munde: 21 überzeugende Argumente gegen die Geschlossene Unterbringung

Extrablatt der ver.di – Betriebszeitung Rotstift anlässlich der Hamburger Personalversammlung des Landesbetriebs Erziehung und Berufsbildung vom 28.08.02

Auf immerhin mehr als vier Seiten geht Herr Lerche in seinem Brief vom 14. August ausführlich auf die Aufregung und Diskussion um die Wiedereinführung der Geschlossene Unterbringung ein, dabei lässt er durchaus Verständnis für die Sorgen der Beschäftigten des Landesbetriebs erkennen.

Weniger Verständnis zeigt er dafür, dass die Diskussion um freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Jugendhilfe nach seiner Beobachtung an Schärfe gewinnt und einige Akteure dabei Gefahr laufen, die Grenzen zur Diffamierung zu überschreiten. Den Gegner der Geschlossene Unterbringung unterstellt unser Geschäftsführer, eine nicht immer sehr sachlich und an Fakten orientiert geführte öffentliche Debatte. Er attestiert ihnen Polemik und sieht darin das Eingeständnis fehlender konzeptioneller Alternativen.

Da ist es gut, dass der ROTSTIFT in den Jugendhilfearchiven auf ein Dokument gestoßen ist, dem auch Wolfgang Lerche sicher strickte Sachlichkeit bescheinigen wird. Der bereits 1995 von einem namenhaften Vertreter der Hamburger Jugendhilfe verfasste Beitrag hat aus unserer Sicht nichts von seiner Aktualität und Prägnanz verloren. Der ROTSTIFT will mit der auszugsweisen Veröffentlichung seinen Beitrag zur sachlich und an Fakten orientiert geführten Debatte leisten. Weiterlesen

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Helga Treeß, Thomas Lamm: Fortschritt statt Rückschritt in der Kinder- und Jugendhilfe. Eckpunkte für notwendige fachliche Reformen

Mai 2002 | Helga Treeß, Thomas Lamm

Die Auseinandersetzung mit der Delinquenz im Kindes- und Jugendalter hat vor allem in der öffentlichen Debatte dazu geführt, dass Kinder und Jugendliche oft unter einen “Generalverdacht” betrachtet werden. Die Sachverständigen des 11. “Kinder- und Jugendberichtes der Bundesregierung” haben jüngst wieder darauf hingewiesen. Bei der Frage nach den geeigneten Instrumenten der Jugendhilfe wird in der Folge übersehen, dass diese im günstigsten Fall Beiträge zur primären Kriminalprävention im Kindes- und Jugendalter leisten kann, originär aber andere Aufträge hat. Noch deutlicher wird das Dilemma beim Reizthema der “Geschlossenen Unterbringung” im Rahmen der Jugendhilfe. Die in diesem Zusammenhang aufgestellten Forderungen unterstellen, dass es Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe sei, die öffentlichen Erwartungen nach sicherer Verwahrung und Strafe für die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu erfüllen. Dies entspricht aber weder dem gesetzlichen, noch dem fachlichen Auftrag.

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Norbert Struck: Die GU von Kindern und Jugendlichen in der Jugendhilfe ist nach wie vor keine Lösung

Mai 2002 | Norbert Struck

Jugendhilfe ist auch für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche zuständig. Sie muß diese Zuständigkeit aber unterstützend und nicht strafend/einsperrend wahrnehmen. Thesen zur Diskussion um die geschlossene Unterbringung. Plädoyer für mehr sozialräumliche Vernetzung von Hilfsangeboten und die Wahrung der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen.

Erschienen in: FORUM für Kinder- und Jugendarbeit, 18. Jahrgang, 1.+2. Quartal 2002, ISSN 1434-4696

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Harry Hubert: Geschlossene Unterbringung als pädagogisches Konzept? Alter Wein in neuen Schläuchen

Mai 2002 | Harry Hubert

Es herrscht wieder einmal Wahlkampf und so kann es nicht ausbleiben, dass lautstark auch politisch rechte bis erzreaktionäre Trommeln gerührt werden. Während sich eine hochrangig besetzte Experten-Kommission unter der Führung der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (DVJJ) dieser Tage für eine weitreichende Liberalisierung des Jugendstrafrechts einsetzt und energisch eine radikale Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) fordert, will der Hamburger Senat mit großer Anstrengung das Rad der Geschichte der Pädagogik und Jugendhilfe zurückdrehen und 90 Heimplätze für eine geschlossene Unterbringung (GU) einrichten.

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Landesjugendhilfeausschuss Brandenburg: Alternativen zur Geschlossenen Unterbringung

September 2001

Alternativen zur Geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendhilfe

Positionen und Empfehlungen des Landesjugendhilfeausschusses des Landes Brandenburg

Der Landesjugendhilfeausschuss des Landes Brandenburg will mit den vorliegenden Positionen einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion über diese hochkomplexe Thematik leisten und Empfehlungen für die Politikerinnen und Politiker, die örtlichen Jugendhilfeausschüsse und die weitere Fachöffentlichkeit geben.

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Prof. Dr. Christian Schrapper: “Was tun mit den ‘Schwierigen'”? Erklärungs- und Handlungsansätze der Kinder- und Jugendhilfe im Umgang mit “schwierigen” Kindern und Jugendlichen

August 2001 | Prof. Dr. Christian Schrapper

Überarbeitete Fassung des Festvortrages anlässlich dem 25-jährigen Jubiläum des Heidehaus am 17.8.2001 in Neuwied

Download als doc-Dokument unter http://www.vpk.de/documents_public/schwierige_kinder.doc

Die Frage danach, was man mit ‘besonders schwierigen’ jungen Menschen tun soll, bewegte die öffentlichen Erzieher solange es diese Aufgabe als staatlich organisierte Veranstaltung gibt. Die Antworten der letzten 200 Jahre variieren zwischen

  • besonderer Zuwendung, früh bei Pestalozzi und seinen Kriegswaisen in Stanz (um 1799), später bei Karl Wilker und seinen “Anstaltszöglingen” im Lindenhof bei Berlin (1919-21) oder 1969/70 in den ersten Jugendwohnkollektiven, wissenschaftlich begründet u. a. durch Klaus Mollenhauer,
  • und harter Disziplin, Bestrafung und Aussonderung in den Fürsorge- und Erziehungsanstalten, die aus den Zucht- und Arbeitshäusern hervorgegangen sind.

Trotz einer Vielzahl engagierter und erfolgreicher Alternativprojekte, die auch in den letzten zwanzig Jahren zeigen wollten, dass “es ohne geschlossene Unterbringung geht” , sind die Schilderungen der Ohnmacht und Hilflosigkeit professioneller Pädagoginnen und Pädagogen gegenüber Kindern, die ‘besondere Schwierigkeiten machen’, nicht verstummt. Eindrucksvoll hat Jürgen Blandow, vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um das erlebnispädagogische Alternativprojekt in Kuttula (Finnland), die “Stricke und Fallen der postmodernen Jugendhilfe” an einer aktuellen Jugendhilfekarriere analysiert. Weiterlesen

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Gutachten zur geschlossenen Unterbringung “schwierigster” Kinder und Jugendlicher aus dem Land Brandenburg

26 Februar 2000 | Prof.Dr.Ulrich Paetzold, Steffen Lachmann

Fallanalysen aus den Jahren 1997 -1999

Im Auftrag des Landesjugendamtes Brandenburg.
Das Gutachten beschäftigt sich mit der Frage, weshalb Kinder und Jugendliche aus dem Land Brandenburg geschlossenen untergebracht wurden. Hauptzielrichtung der Untersuchung wird dabei sein, mögliche Unterscheidungskriterien zwischen der geschlossenen Unterbringung in einer Kinder-und Jugendpsychiatrie und einer geschlossenen Unterbringung im Bereich der Jugendhilfe herauszuarbeiten.

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