Jan Ehlers (ehemaliger Hamburger Sozialsenator):
“Überall dort, wo Menschen Gewalt über Menschen ausüben, lauert der Missbrauch. Das damalige Konzept “Menschen statt Mauern” war in seinem Vertrauen auf menschliche Beziehungen statt Einschluss fragil; wir hätten es nach 10 Jahren überprüfen müssen und wollen.
Das ist nicht geschehen. Andere Aufgaben drängten sich in den Vordergrund. Das Thema blieb trotzdem weitgehend unbeachtet, bis ein junger Mann aus einer betreuten Jugendwohnung einen Einzelhändler in Langenhorn überfiel, ihn ausraubte und ihm das Leben nahm. Das Verhalten der Pädagogen, deren Aufgabe es gewesen wäre, diesen Schutzbefohlenen von diesem Geschehen abzuhalten, war nicht zu beschönigen. Sie fanden einfach nicht statt, denn sie waren nicht da. Seitdem wird in Hamburg wieder weggesperrt, denn Politik erfordert in der Demokratie nicht rationale Konsequenzen, sondern vor allem öffentlich akzeptierte Konsequenzen. Alle dann praktizierten Konzepte haben sich allerdings nicht nur als zu teuer, sondern auch als im Wesentlichen nutzlos erwiesen. Und da lag es nahe, dieses schmuddelige Thema nach Brandenburg zu exportieren, als sich dort eine mit staatlichen Geldern finanzierte privatwirtschaftliche und gewinnorientierte Einrichtung etablierte, die sich mit fast mafiotischer Absicherung jeder öffentlichen Kritik entzog. Ich war schon nicht mehr im Amt, als in Hamburg wieder weggesperrt wurde – und ich habe das und die nachfolgenden Entwicklungen auch nie akzeptieren können. Denn ich hatte doch noch erlebt, wie im Jugendamtsheim Osdorf ein umzäunter Außenbereich für die Kinder und Jugendlichen zum frische-Luft-schnappen hergerichtet war, den diese vom Haus aus durch einen Drahttunnel – von der Zirkusmanege bekannt – erreichten. Und ich habe die mit Blech beschlagenen Zellentüren im “Heim für gefallene Mädchen”, der Feuerbergstraße gesehen, mit Beulen, die davon herrührten, dass die eingesperrten jungen Frauen den Kopf gegen die Zellentür schlugen. Ich weiß, welche Gewalt bei Einschluss auf allen Seiten entsteht und eskaliert. So auch offenbar in der Einrichtung in Brandenburg. Zum Glück gibt es inzwischen mit Frau Münch als verantwortlicher Ministerin in Brandenburg und mit Wolfgang Rose, einem Bürgerschaftsabgeordneten in Hamburg, eine Politikerin und einen Politiker, die wider den Stachel löcken. Ich wünsche beiden guten Mut und viel Erfolg dabei.
Ich lebe in der Freien und Hansestadt Hamburg. Hier sind ganz selbstverständlich Kommerz und kaufmännisches Denken zu Hause. Mit der “Freiheit” ist das oftmals schon so eine Sache. Aber ich bin stolz darauf, dass meine Stadt den Titel “Freie und Hansestadt” trägt und möchte mich nicht schämen müssen, weil der Begriff “Freiheit” im Namen in der Wirklichkeit nichts gilt.”
Rodolfo Bohnenberger (13 Jahre tätig als Sozialpädagoge und Familientherapeut in der Bremer Kinder- und Jugendhilfe, anschließend drei Jahre Lehrauftrag im Studiengang Soziale Arbeit, Hochschule Bremen):
Geschlossene Unterbringung ist “schwarze Pädagogik” und traumatisiert die davon Betroffenen. Kinder sind laut Grundgesetz und UN-Kinderrechtskonvention nicht OBJEKTE staatlicher, eingreifender „Fürsorge“, sondern zu respektierende SUBJEKTE; und ihre Familien haben einen Rechtsanspruch auf eine angemessene, lebensweltorientierte und dem je besonderen Bedarf ihrer Kinder entsprechende Hilfe. Für junge Menschen, die als „besonders schwierige Fälle“, „gefährlich“ oder als „Systemsprenger“ etikettiert werden, kann nur ein vernetztes, gut entwickeltes, gut kooperierendes Unterstützungssystem Ausschließung, etwa durch Einschließung, verhindern und Perspektiven bieten.
Jugendliche machen Probleme, weil sie Probleme haben und Ihnen Probleme gemacht werden, auch durch die Institutionen. Dies anzuerkennen und die Probleme nicht einseitig bei den jungen Menschen zu verorten setzt biographisches Verstehen, tragfähige, dauerhafte Begleiter*innen und eine fundierte Hilfeplanung mit den jungen Menschen voraus. So können Zwangsunterbringungen und geschlossene Maßnahmen verhindert werden. Denn deren Existenz und Verfügbarkeit trägt zur Etikettierung der jungen Menschen bei, ein positiver Beitrag der Jugendhilfe zu ihrer Situation tritt so in den Hintergrund.”
Dietmar Glombitza (von 1966-1978 in Spezialkinderheimen und geschlossenen Jugendwerkhöfen in der ehemaligen DDR, heute Mitstreiter des Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung):
“Isolation, geschlossene Unterbringung, Zwangsgehorsam darf niemals als Mittel zum Zweck eingesetzt werden, wenn man weitreichende Fehlentwicklungen bei Kindern und Jugendlichen vermeiden will! Kriminalität, Drogen und Alkoholabhängigkeit sind unweigerliche Folgen, ein Hilfeschrei aus der Auswegs- und Hilflosigkeit der Kinder und Jugendlichen.
Das Zauberwort heißt “Alternativpädagogik”. Nur wenn man bereit ist, diese ein- und umzusetzen, wird man entsprechende Erfolge erzielen. Kein Mensch wird als schlechter Mensch geboren, sondern die Entwicklung der Persönlichkeit wird durch die Gesellschaft zu dem gemacht was sie ist. Da die kleinste Zelle der Gesellschaft die Familie ist, braucht es die Einsicht in die Notwendigkeit der Prävention! Hier ist die Politik in ihrer Gesamtheit in der Pflicht die entsprechenden Ressourcen frei zu geben und bereitzustellen.
Kinder und Jugendliche sind unser wertvollstes Gut und das gilt es zu schützen!”
Dr. Wolfgang Hammer (leitete bis Anfang 2013 die Abteilung Kinder- und Jugendhilfe im Amt für Familie der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) in Hamburg)
“Einer der Hauptgründe warum ich 1981 von Köln nach Hamburg gekommen bin, war die Abschaffung der Geschlossenen Unterbringung und die Heimreform.
Ich habe im Rheinland die Folgen von Freiheitsentzug und Entwürdigung in der Heimerziehung erlebt und die Ignoranz von Politik und Teilen der Praxis gegenüber dem sinnlosen Leid von Kindern und Jugendlichen. In Hamburg hat sich dies leider seit 1992 wiederholt.
Wer heute noch für den Freiheitsentzug als ‘ultima ratio’ eintritt, hat Kopf und Herz ausgeschaltet.
Freiheitsentzug ist nach der Kenntnis seiner Auswirkungen das Gegenteil: nämlich ‘ultima irratio’, der letzte Irrsinn!”
Prof. Dr. Marcus Hußmann, Ev. Hochschule Dresden
“Ich bin gegen geschlossene Unterbringung, weil sie als sozialdisziplinierende Praxis eine autoritäre und zerstörerische Traditionslinie der Sozialen Arbeit fortschreibt. (Ehemals) Betreute schildern sie als missachtend, gewaltförmig, traumatisierend, diskreditierend, strikt monologisch, individualistisch, isolierend, entmächtigend, bedrohlich, strafend, schließend, beängstigend, ausgrenzend, entwürdigend oder entwicklungsschädigend.
Alle Versuche, sie unter dem Deckmäntelchen einer wie auch immer gearteten fachlich ausgewiesenen Expertise zu reformieren oder gar zu „humanisieren“, beweisen die These von Lieselotte Pongratz, dass man totale Institutionen eben nicht verändern, sondern nur abschaffen kann.”
Fabian Kessl (Erziehungs- und Politikwissenschaftler, Hochschullehrer am Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen):
“Jugendhilfe, Eingliederungshilfe und Jugendpsychiatrie müssen sich entscheiden: Sollen Grenzsituationen ausgehalten und bearbeitet werden oder Grenzen hochgezogen. Das erste wäre professionell und einer Erziehung zur Mündigkeit angemessen, das zweite verspricht in Form so genannter freiheitsentziehender Maßnahmen vorschnell Handlungssicherheit.”
Nikolaus Kiesau (Sozialarbeiter):
“Nicht das Elend verwalten, sondern den Widerstand organisieren“ war schon im Studium mein Leitspruch. Das bedeutet andere Wege zu gehen!
Menschen auszugliedern und wegzusperren zeigt dagegen die Hilflosigkeit der Gesellschaft und ist in einer christlichen und demokratischen Gesellschaft untragbar.”
Dr. med. Charlotte Köttgen
Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie, Hamburg.
Erziehung kann nur in Freiheit gelingen
In all den Jahren meiner langjährigen Tätigkeit in den Bereichen der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist der wiederkehrende Versuch, Jugendliche in geschlossenen Einrichtungen durch Zwang erzieherisch zu „bessern“, immer wieder gescheitert. Die schon ritualisierten Forderungen nach härteren Strafen und Einsperren dienten meistens durchsichtigem, wahlkampftaktischem Kalkül. Getrieben wurde die Politik durch die, besonders von der Boulevardpresse, geschürte Straflust und war am Ende doch gezwungen solche Einrichtungen wieder zu schließen.
Sowohl in dem sogenannten „Kinderknast Feuerberg“ in Hamburg, wie in anderen
Versuchen geschlossener Unterbringungen, z.B. der „Haasenburg“ wurden Rechtsverstöße, Misshandlungen, Entweichungen und ein System der demütigenden Gewalt bekannt, deshalb mussten sie geschlossen werden, wie schon die repressiven Verwahranstalten mit ihrer 200 jährigen, unseligen Geschichte, deren, wie es hieß „elenden, menschenunwürdigen“ Bedingungen zu Unselbstständigkeit, Hospitalisierung, Apathie und Verblödung geführt hatten, statt zu Integration oder Heilung.
Hamburg ist 20 Jahre ohne eine Institution für geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe ausgekommen. Nach Auflösung der geschlossenen Heime – 1980 per Senatsbeschluss durchgesetzt – gab es über 10 Jahre repressionsfreie Heimerziehung, die nachweislich erfolgreich war, wie an Hand einiger Fakten sogar belegt werden kann: Innerhalb von 10 Jahren verringerten sich die Verurteilungen Jugendlicher um 2/3, ohne dass die Kriminalitätsrate – wie stets prophezeit wurde – anstieg. 900 Heimplätze konnten abgebaut werden, die frei gewordenen Gelder flossen in alternative Hilfen im Lebensumfeld, auf auswärtige Unterbringungen wurde weitestgehend verzichtet, dafür wurde massiv in die Qualifizierung der Sozialarbeit investiert, (Schone, 1991, Sozialsenator war Jan Ehlers).
Obwohl es nie ein Versprechen gab, Jugendkriminalität verhindern zu können, wurde
gleichwohl bei jedem Skandal über Einzelfälle, die (liberale) Jugend- und Sozialhlfe als System verunglimpft: „Die Jugendhilfe hat versagt“ heißt es dann und schon nach den
ersten 10 Jahren wurde versucht, wieder mehr Repression einzufordern.
Zwischenzeitlich arbeitet seit fast 4 Jahren sehr erfolgreich eine Koordinierungsstelle,
angesiedelt im Rahmen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die sich der extrem
schwierigen Fälle annimmt, das sind traumatisierte und delinquent gewordene Jugendliche aus sozialen Problemlagen. Einige hatten sogar einen richterlichen Einweisungsbeschluss für Zwangsmaßnahmen. Ziel ist es jedoch alternative Hilfen zu entwickeln.
Es zeigte sich, dass geeignete Hilfen besonders dann wirksam sind, wenn die Einbeziehung und Mitwirkung der Betroffenen und ihrer Familien gelingt. So konnte – ganz ohne Skandale – auf Zwangsmaßnahmen in dieser Arbeit verzichtet werden. Eine so geartete Versorgungsstruktur der Erziehung ohne Zwang verdient fachpolitische Unterstützung, sie verlangt Mut und muss wieder modellhaft verbreitet werden.
Heimerzieher, Dipl.-Pädagoge, Kronberger Kreis für dialogische Qualitätsentwicklung, Lehrbeauftragter an der Alice Salomon Hochschule Berlin und Universität Luxemburg, Vorstandsvorsitzender der IGfH, Leiter des Kinderhauses Berlin-Mark Brandenburg
“Geschlossene pädagogische Systeme
- Erzeugen eigene, fremde Kulturen die sich von der Außenwelt immer stärker unterscheiden und abgrenzen
- Führen zu fraglichen, seltsamen Beziehungen sowohl bei den hier lebenden jungen Menschen, als auch bei den Erwachsenen
- Fordern Anpassung (auf beiden Seiten!) bis zur Unterwerfung
- Erzeugen fragwürdigen Rollen der Pädagoginnen und Pädagogen
- Verändern die „Seelen“ der Fachkräfte
- Geben etwas vor, was nicht stattfindet (Beziehungen sind nicht gleich Beziehungen)
- Schaffen zwingend Machtstrukturen (Schlüssel, Eingriff mit Strafen, Belohnungssysteme die an biologistischen Konzepten anknüpfen usw.)
- Erzeugen eine allgegenwärtige Sehnsucht nach draußen obwohl das da draußen immer stärker zu einer Scheinwelt gerinnt”
Sandra Küchler (wissenschaftliche Mitarbeiterin an der evangelischen Hochschule Rauhes Haus):
“Erziehung ist für mich gemeinsame Aufgabenbewältigung und das Eröffnen von Handlungs,- und Wahlmöglichkeiten. ‘Erziehung zur Mündigkeit’ braucht Freiräume. Deshalb: Entschlossen offen!”
Kunstreich, Timm, Dr. Prof. i. K. em. / Sozialwissenschaftler
“Die ‘geschlossene Unterbringung’ ist ein Produkt der Heimerziehung, wie sie in den letzten 200 Jahren entstanden ist. Wollen wir sie wirklich und unwiderruflich abschaffen, müssen wir die Heimerziehung, so wie sie jetzt noch ist, beenden. An ihre Stelle muss eine Vielfalt von Lebens- und Gestaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche entstehen, deren gemeinsames Kennzeichen es ist, dass sie mit den Betroffenen, nicht für oder gar gegen sie geplant, entwickelt und realisiert werden.”
mehr…: http://timm-kunstreich.de
- Ab 1998 Professor für Organisationsformen Sozialer Arbeit an der Evangelischen Fachhochschule des Rauhen Hauses in Hamburg.
- 2005 – 2011 Rektor der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie in Hamburg
- emeritiert
“Wenn wir ein schwieriges Kind aus schwierigen, oft gewalttätigen Zusammenhängen und aus einer vielleicht problematischen Familie mit anderen Kindern zusammenbringen, die ebenfalls von früh an unter diesen Stressoren gelebt haben, und wenn wir diese Gruppe von Kindern dann in eine ebenfalls äußerst schwierige, gefängnisähnliche und damit tendenziell gewalttätige geschlossene Situation bringen, in der sie strikten Regeln unterworfen sind und fast ausschließlich darauf orientiert werden, diese Regeln einzuhalten – dann darf sich niemand wundern, wenn sich ihre Schwierigkeiten noch weiter vervielfältigen. Und wenn wir diese Potenzierung der Schwierigkeiten den Kindern zurechnen, dann liegt der Fehler nicht bei den Kindern, sondern bei den Erwachsenen, die sie in diese gefährliche Situation gebracht haben, anstatt ihnen Beistand zu leisten.”
(Sozialarbeiter, Kriminologe und Diakon; Hochschullehrer an der HAW Hamburg, Department Soziale Arbeit)
Der dauerhafte oder temporäre Einschluss in eine Institution und Ausschließungen aus bestimmten Bereichen der Gesellschaft werden regelhaft mit dem Wohl der Kinder und Jugendlichen begründet – zu Unrecht und wider besseres Wissen. In geschlossenen Settings werden junge Menschen zu Objekten von Erziehung, die in starren, für alle gleich-gültigen Regelsystemen mit Sanktionen geformt werden sollen. Die weitgehende Aberkennung des Status als Subjekt und die (Schein-)Anpassung in den Institutionen widersprechen dem Wohl bzw. den Interessen der Kinder und Jugendlichen. Sie verhindern die gemeinsame Auseinandersetzung mit den je individuellen und sozialen Konflikten, und sie verschließen Möglichkeiten der Entwicklung zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Persönlichkeiten.
Daher haben so genannte freiheitsentziehende Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe nichts zu suchen.
Peter Meyer (Rentner, ehem. Sozialarbeiter, die letzten 18 Jahre des Sozialarbeiter-Berufslebens bis 2009 im ASD des Bezirksamts Wandsbek arbeitend):
“Ich bin gegen geschlossene Unterbringung weil unsere Zivilgesellschaft nur wachsen und sich verfestigen kann, wenn Rechtsbewusstsein und Formen von Verhältnismäßigkeit im Umgang miteinander – von ‘Allen’ getragen – z.B. durch Institutionen, wie das Jugendamt gelebt werden. Regelbrüche und Verhaltensauffälligkeiten von jungen Menschen benötigen gerade hier besonders respektvolles Vorgehen und durch und von den Betroffenen zugelassenes ‘Verstehen wollen’. Das geht nicht ohne Vertrauen. Junge Menschen können Grenzen nur in einem vertrauensvollen konsequenten Gegenüber annehmen. Jugendhilfe sollte deshalb gerade von diesen jungen Menschen als eine Chance erkannt werden können und nicht als Kontrolle abgelehnt werden müssen. Eine unabhängige Beschwerdestelle/Ombudsstelle scheint gerade für junge Menschen die Hilfe zur Erziehung bekommen, nach den Erfahrungen mit der Einrichtung Haasenburg – als bessere Gewähr für ein ausbalanciertes Leben – eine Notwendigkeit zu sein. Die Kosten, die unsere Zivilgesellschaft zum Wachsen benötigt, müssen dringend eine verbesserte Grundlage bekommen. Alleine ein Ernstnehmen des §1 SGB VIII würde einen ausschließlich kontrollierenden Kinderschutz verhindern. Integration muß eine volkswirtschaftlich besser bewertete und ausfinanzierte Perspektive haben.”
Julia Patjens (Sozialarbeiterin):
“Geschlossene Unterbringung steht im Widerspruch zu Sozialer Arbeit und nimmt ihr die Möglichkeit, Jugendlichen eine Hilfe zu sein, um ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft führen zu können.
Wie sollen junge Menschen Selbstwirksamkeit spüren und Selbstbestimmung lernen, wenn sie Fremdbestimmung erleben? Wie sollen sie respektvoll und gewaltfrei ‘werden’, wenn sie Gewalt und Isolation erfahren?”
Prof. Dr. Friedhelm Peters:
“Ich bin gegen geschlossene Unterbringung, weil sie für die Betroffenen eine unnötige sowie rechtlich und fachlich fragwürdige Zufügung von Leid bedeutet und für die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe kontraproduktiv ist.”
Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe Alice Salomon Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung Berlin
“Junge Menschen, die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch nehmen, haben ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (vgl. § 1 SGB VIII/KJHG Es geht darum, Einrichtungen und Settings (soziale Orte) zu schaffen und zu gestalten, an denen junge Menschen sich positiv entwickeln und entfalten sowie Beteiligung realisieren können.
Geschlossene Einrichtungen gehören nicht dazu! Sie gehören deshalb nicht in die Angebotsstruktur der Kinder- und Jugendhilfe. Es gibt keine sozialpädagogischen Ansätze, welche geschlossene Unterbringung legitimieren, da diese den Zielen von Entwicklung und Erziehung diametral entgegensteht!
Grenz- und Rechtsverletzungen gegenüber Kindern und Jugendlichen im sozialpädagogischen Alltag dürfen nicht hingenommen werden!
Deshalb bedarf es in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Beteiligungsmöglichkeiten der jungen Menschen sowie Zugang zu Beschwerde- und Anlaufstellen (sog. Ombudschaftsstellen), die für die Jugendlichen erreichbar sind.”
Björn Redmann, Sozialpädagoge, Kinder- und Jugendhilferechtsverein Dresden
“Wir wissen: Geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe ist nachweislich nicht ausreichend erfolgreich, sie richtet bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen erheblichen Schaden an, die Jugendlichen aber auch die Mitarbeiter_innen leiden unter der Geschlossenheit und sie entlastet die Jugndhilfe davon, qualitativ hochwertige und haltefähige Angebote ohne Geschlossenheit zu entwickeln.
Nichts spricht für die Geschlossene Jugendhilfe, aber viel gegen sie.”
Dipl.-Pädagoge, Familientherapeut, Berufsvormund, Verfahrensbeistand und Sachverständiger in familiengerichtlichen Verfahren, Vorstand Bernie e. V. Hannover
“‘Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.’ (§ 1 Abs. 1 SGB VIII)
Erziehung ist stets auf Kooperation angewiesen. Erziehung kann nur als Koproduktion gelingen. Ein Setting, das statt Kooperation Unterordnung verlangt, das, statt Koproduktion zu realisieren, den Jugendlichen zum Objekt – auch noch so wohlmeinenden – Handelns degradiert (GU), muss das Ziel verfehlen.”
Wolfgang Rosenkötter (Sozialwissenschaftler)
(War in den 60er Jahren in Heimerziehung in mehreren Heimen der Bodelschwinghschen Einrichtungen und erlebte dort Zwangsarbeit, Misshandlungen und Entpersönlichung. Später studierte er Sozialwissenschaften und hat zwei Lehraufträge an Universitäten in Berlin und Bremen. Außerdem hält er als Zeitzeuge Vorträge in vielen Institutionen. Er ist seit 10 Jahren Obmann für Jugendliche in den Wohngruppen in „Bethel im Norden“ und Protagonist des Films „Freistatt“. Daneben engagiert er sich für Kinderrechte im Deutschen Kinderschutzbund und im Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung.)
„Mein Leben war geprägt von den Erlebnissen in der Heimerziehung, sie hatten gravierende Auswirkungen auf mein Berufs- und Privatleben. Über 40 Jahre habe ich über diese Zeit geschwiegen und sie verdrängt. Das Buch des Spiegelautors Peter Wensierski „Schläge im Namen des Herrn“ war die Initialzündung, meine Heimzeit – und damit verbundene Verwerfungen in meinem Leben – aufzuarbeiten. Wie so vieles aus der bürgerlichen Gesellschaft der frühen Bundesrepublik wurde die Heimerziehung erstmals während der Studentenrevolte thematisiert. Es waren die 68er, die zeigten, was damals in den Heimen wirklich geschah. Damals hatten weder das Diakonische Werk noch die Caritas oder die staatlichen Heime ein Schuldbewusstsein. Die Erziehungsmethoden waren damals geprägt von der Ansicht, alles was Kinder eigentlich lernen müssten ist bedingungsloser Gehorsam. Aber sie wollen es nicht lernen.
Deshalb müsse man ihnen ihren Eigensinn früh und gründlich austreiben. Dieser alte Glaube, dass die Gewalt gegen Kinder keine Folgen hat und sie nur stark macht, ist der schrecklichste Irrglauben mit denschrecklichsten Folgen für das Leben. Deshalb möchte ich darauf aufmerksam machen was damals geschah und dafür sorgen, dass es nie wieder passiert. Leider müssen dazu „dicke Bretter“ gebohrt werden. Die böse Schwarze Pädagogik war gestern, so wie die böse Heimerziehung gestern war – und heute ist alles gut? Selbstverständlich nicht. Der Kern der Schwarzen Pädagogik ist die Manipulation der Gefühle des Kindes. Dies geht mit offenkundiger Gewalt, aber auch mit sehr subtiler psychologischer Gewalt einher. Kinder und Jugendliche brauchen Schutz und Fürsorge. Das macht sie stark und sie lernen Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen ohne sie zu benutzen.
Geschlossene Unterbringung ist keine Option für Kinder und Jugendliche und führt nur zur Zerstörung von Persönlichkeit.”
Prof. Dr. Reinhold Schone Fachhochschule Münster
Es bleibt dabei:
“Probleme von Kindern und Jugendlichen lassen sich nicht einsperren!”
(so auch der Titel des Buches der IGfH-Arbeitsgruppe “Alternativen zur geschlossenen Unterbringung” in der IGfH-Schriftenreihe aus dem Jahr 1980, an der ich vor 40 Jahren als Berufseinsteiger (als Erzieher in einem geschlossenen Heim in Freistatt) mitwirken durfte)
Wilma Simon:
“Heimkarriere. Die Würde des Kindes ist unantastbar? – Eine sozialkritische Veranstaltung in der Markthalle am Hauptbahnhof“, lautete der Titel der ersten Markthallen-Veranstaltung im März 1980.
Endstation der Heimkarrieren von Kindern und Jugendlichen in Öffentlicher Erziehung war die “gesicherte Unterbringung”, der Einschluss. Diesen abzuschaffen war die einmütig formulierte Forderung eines Großteils des Personals sowie ihrer Zöglinge. Es wurde u.a. verlangt, dass altersspezifische Heime und damit Versetzungen verboten und Alternativen zur Heimerziehung wie Jugendwohnungen und Jugendwohngemeinschaften entwickelt und angeboten werden sollten.
Unter dem Motto „Menschen statt Mauern“ wurden die Forderungen umgesetzt. Anders als heute unterstützt von einem gesellschaftspolitisch reformorientierten Klima und einer Vielzahl engagierter SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen, die unter den repressiven Strukturen der Heimerziehung litten und Veränderungen forderten.
Menschen statt Mauer, dieses Motto hat bis heute unverändert Gültigkeit!”
Gerald Stiehler,
Psychologischer Psychotherapeut
Als Psychologe und Traumatherapeut begegnen mir immer wieder Menschen, die als Kinder und Jugendliche in Heimen unter willkürlicher Gewalt und seelischem wie körperlichen Missbrauch gelitten haben. Gewalterfahrung erschüttern die seelische Integrität von jungen Menschen tiefgreifend. Geschlossene Heime basieren auf einem Prinzip „struktureller Gewalt“ und tragen damit automatisch auch den Keim für reale Gewalt und Machtmissbrauch in sich. Sowohl unsere Geschichte als auch die psychologische Forschung lässt daran keinen Zweifel. Die Spuren, die das hinterlässt, sind für die Betroffenen meist ein Leben lang furchtbar und für uns als Gesellschaft eine Schande.
Ich appelliere daher dringend an die Verantwortlichen: Verzichten Sie auf geschlossene Unterbringung.
Universität Kassel
“Dass Kinder und Jugendliche, die in ihren Herkunftsfamilien keine guten Bedingungen der Sozialisation erleben können, die Möglichkeit erhalten, temporär oder langfristig in „öffentlicher Verantwortung“ aufzuwachsen und zu leben, stellt eine Errungenschaft moderner Gesellschaften dar. Die Gesellschaft übernimmt damit die Verpflichtung, den Heranwachsenden einen Lebensort bereit zu stellen, der es ihnen ermöglicht, ihre biografischen Wege zu bewältigen und zu gestalten, mit Zukunftsoptionen zu experimentieren, ohne sich selbst oder andere zu verletzen. Dies Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, stellt hohe und komplexe Anforderungen an die vielfältigen Formate der stationären Hilfen der Erziehung und an die dort beruflich engagierten Pädagog_innen. Institutionen wie Pädagog_innen haben täglich die Möglichkeiten und Grenzen der Hilfen, der Erziehung und Bildungsarrangements in öffentlicher Verantwortung neu auszubalancieren. Das kann gelingen, aber auch scheitern, weil die Kinder und Jugendlichen ihre Ideen vom Leben in diesen Arrangements meinen nicht verwirklichen zu können oder die Institutionen und Pädagog_innen ihre Angebote und Interventionen nicht sensibel, souverän und für die Heranwachsenden akzeptabel realisieren. Auf dieses Scheitern mit dem Entzug der Freiheit zu reagieren, Kinder und Jugendlichen in geschlossene Einrichtungen einzuschließen, bedeutet, darauf zu verzichten, sich den Herausforderung von Erziehung zu stellen, bedeutet, Kindern und Jugendlichen die Chance zu entziehen, Mündigkeit und Selbstverantwortung zu lernen. Arrangements der geschlossenen Unterbringung und des Freiheitsentzugs ermöglichen strukturell nicht das Erleben und experimentelle Erlernen von solidarischer Freiheit.”
Langston Uibel (Schauspieler)
kam 1998 in London zur Welt und wurde dort im Alter von vier Jahren in die Corpus Christi Primary School eingeschult. Er wuchs zweisprachig auf und beherrscht daher Deutsch und Englisch als Muttersprachen. Seit 2006 lebt Langston Uibel in Berlin. Im 2015 erschienenen Kinofilm Freistatt spielte er die Rolle des Anton, der sich als afrodeutscher Zögling besonderen Schikanen ausgesetzt sieht. Ab dem 8. Februar 2016 ist Uibel in Herr der Fliegen: survival mode im Deutschen Theater Berlin zu sehen.
“Ich bin froh Teil des Filmes “Freistatt” gewesen zu sein. Wir konnten das Schicksal von 800.000 deutschen Heimkindern erzählen. Wir waren konsequent und haben auch in einem dramatisierten Film kein schönes, einfach oder glückliches Ende gefunden. Es gab kein schönes Ende für die Heimkinder. Für mich persönlich gibt es nichts schöneres als Politik zu machen mit den Filmen, die ich drehe und das haben wir hier geschafft.”
Historische Zitate:
„Alles fließe von selbst, Gewalt sei den Dingen fern.“
Das ist der Wahlspruch von Johann Comenius,
dem genialen Pädagogen und Gelehrten.
Janusz Korczak:
“Die gegenwärtige Erziehung ist von dem Grundsatz durchdrungen, daß der Erzieher gegenüber der Gesellschaft für die Kinder verantwortlich ist. Wir möchten die Erziehung auf Grundsätze aufbauen, wo der Erzieher vor den Kindern für die Gesellschaft verantwortlich ist.”
Johann Hinrich Wichern:
“Erziehung ist nur in Freiheit möglich, nicht Mauern oder Gräben, sondern Vertrauen und Liebe sie [die Jugendlichen] hier halten!”